Warum erinnern? Warum nicht einfach vergessen? Weil Schuld erst dann vergessen werden kann, wenn die Tatsachen erzählt und eingestanden worden sind.
Foto: Helmut Brose
Zu den Flintbeker Tatsachen gehört das Zwangsarbeiterlager aus den Jahren 1942 bis 1945, in dem ca. 350 niederländische Zwangsarbeiter untergebracht waren. Nach dem deutschen Angriffskrieg waren sie als arbeitsfähige Kriegsgefangene aus den Niederlanden in verschiedene deutsche Lager deportiert worden, so auch nach hier in Flintbek. Sie arbeiteten ausschließlich zum Profit der Firmen, die sie beschäftigten. Die Flintbeker Zwangsarbeiter arbeiteten auf der D.W.K.-Werft in Kiel, u,a. in der Rüstungsindustrie am Bau von U-Booten. Die Arbeitszeit betrug bis zu 60 Stunden pro Woche. In der Zwischenzeit in den Flintbeker Baracken gab es kein Privatleben, wie Petrus von Eekelen, der 1943 20-jährig ins Lager kam, in seinen Erinnerungen berichtet. Über diese zwei Jahre seines Lebens im Lager und auf der Werft bis 1945 schreibt er rückblickend:
zit. bei: Peter Meyer-Strüvy: Niederländische Zwangsarbeiter in Kiel, in: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte, hrsg. vom Arbeitskreis für die Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (AKENS), Heft 28 (1995)
»Das ist meine Jugend, die man genommen hat.«
Foto: Lothar Bischof
Auf Veranlassung der britischen Militärverwaltung wurden die westeuropäischen Zwangsarbeiter nach dem 2. Weltkrieg in ihre Heimat zurückgeführt. Anders verhielt es sich mit den osteuropäischen Zwangsarbeitern in Kiel und Umland. Diese wurden als „Displaced Persons“ bezeichnet. Um Spannungen untereinander zu unterbinden, wurden sie von den Briten nach Nationalitäten separiert und bis zur Repatriierung bzw. Auswanderung in vorhandenen Lagern untergebracht. In der Folge wurden in Flintbek Letten untergebracht. Dadurch entstand im Volksmund der Begriff Lettenlager für das Flintbeker Zwangsarbeiterlager. Weil durch die Letten nicht alle Baracken belegt waren, wurden wegen des durch den Flüchtlingszuzug dramatischen Anstiegs der Schülerzahlen Teile des Lagers zu Schulräumen umfunktioniert, bis 1952 die Schule am Eiderwald gebaut war. Den Platz der wegziehenden Letten nahmen wegen der großen Wohnungsnot anschließend Flüchtlingsfamilien ein. So wurde die Gegend später auch Flüchtlingslager genannt. Da das Lagergelände Gemeindeeigentum wurde, konnte nach Abriss der Lagerbaracken neben Wohnbebauung an dieser Stelle ein Gemeindekindergarten entstehen, der schließlich vor einem Jahrzehnt der Bebauung mit Reihenhäusern wich.
Viele Menschen, die heute in Flintbek und den Nachbarorten leben, sind einmal selbst als Kinder oder Enkelkinder ihrer Vorfahren hierhergekommen. Sich hier zu integrieren, war auch für sie nicht immer leicht gewesen. Zwar sind sie nicht so wie die niederländischen Zwangsarbeiter aus dem Lager bei uns »bedrückt und bedrängt« worden, aber die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Flintbeks weiß aus eigener oder aus der Familiengeschichte, was es heißt »Fremdling« zu sein. Darum wollen wir Erinnerungen teilen. Unsere Erinnerungen, erst recht die so lange verschwiegenen, verbinden uns miteinander.